AMA GI MAGAZIN
TAMARA ODERMATT
1.9.2025

Komplementärtherapie in der Schweiz: Entwicklung, Positionierung und Herausforderungen

Die Komplementärtherapie (KT) hat sich in der Schweiz seit den 1970er-Jahren aus einem Sammelbegriff für körperzentrierte, salutogenetisch ausgerichtete Heilmethoden zu einem eigenständigen, anerkannten Berufsfeld entwickelt. Ausgelöst durch die wachsende Nachfrage nach ganzheitlichen Ansätzen wurde 1998 eine Interessensgemeinschaft gegründet, welche schliesslich der Vorläufer für die heutige Organisation der Arbeitswelt KomplementärTherapie (OdA KT) war.

Die formale Professionalisierung wurde durch ein mehrjähriges, partizipativ entwickeltes Berufsbild vorangetrieben, das heute in der 27. Version vorliegt. Dieses abstrahierte Kompetenzprofil in Form von beruflichen Grundlagen und Berufsbild, basiert auf der Philosophie eines personenzentrierten, humanistischen Menschenbildes, wie es insbesondere von Carl Rogers geprägt wurde. Die Inhalte wurden aus über 20 methodenspezifischen Berufsbildern, den sogenannten Methodenidentifikationen, destilliert. Dieses KT-Berufsbild dient nicht nur der Qualitätssicherung und Positionierung im Gesundheitssystem, sondern auch als Orientierung für einzelne Therapeut:innen, für Aus- und Weiterbildungen sowie die berufliche Identitätsentwicklung in derGesellschaft.

Die therapeutische Praxis der KT hat sich seit den 1990er-Jahren substanziell gewandelt: Es war und ist ein Weg, von einer technikorientierten Anwendung der Methode hin zu einer integrativen Prozessbegleitung. Die Beziehungsgestaltung, der therapeutische Dialog und die methodenspezifischen Interventionen sind gleichermassen wichtig. Mehr noch, diese verschiedenen Anteile sind untrennbar miteinander verwoben mit dem Ziel, die Genesungskompetenz des Menschen zu fördern. Mit diesem eigens für die KT kreierten Begriff wird die Fähigkeit des Menschen beschrieben, gesundheitsförderliche Veränderungen zu erlernen und eigeninitiativ umzusetzen.

Trotz wesentlicher Erfolge – wie der Mitfinanzierung durch Zusatzversicherungen und wachsender gesellschaftlicher Anerkennung – sieht sich die KT nach wie vor mit strukturellen Herausforderungen konfrontiert: fehlende Vereinheitlichung kantonaler Bewilligungspflichten sowie uneinheitliche Anforderungen und rückläufige Finanzierungsbereitschaft seitens der Krankenkassen. Dies bedingt eine kontinuierliche berufspolitische Weiterentwicklung. Die immer öfter zustande kommende Zusammenarbeit der verschiedenen Protagonisten aus der Gesundheitsversorgung, ist eine vielversprechende Entwicklung. Abgesehen davon, dass der einzelnen Menschen dank der gemeinsam genutzten Ressourcen optimal in seiner Gesundheit unterstützt wird, führt es vermutlich längerfristig zu einer Senkung der Gesundheitskosten und einer Steigerung der Arbeitszufriedenheit des Gesundheitspersonals.  Es ist wichtig, dass sich Verbände, aber auch Einzelpersonen berufspolitisch engagieren, um eine stabile und nachhaltige Position im Gesundheitssystem zu sichern.

 

Mein heutiger Gesprächspartner:

Peter Itin ist seit 30 Jahren in der Shiatsu-Praxis aktiv und engagierte sich berufspolitisch, etwa als Vorstandsmitglied bei der Schweizer Shiatsu Gesellschaft, im Dachverband Xundsowie in der OdA KT, wo er an der Entwicklung des Berufsbilds mitarbeitete und zuletztdie Prüfungskommission leitete. Er war Dozent für berufliche Grundlagen und ist Autor des Fachbuchs Shiatsu als Therapie. Heute arbeitet er neben seiner Praxis auch als Supervisor und unterstützt Kolleginnen bei der Prüfungsvorbereitung.

https://peteritin.wordpress.com/

Literatur:

Oda KT. (2015). Berufsbild KomplementärTherapie

Itin, Peter. (2007). Shiatsu als Therapie. Books on Demand.

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