Gesundheit ist mehr als die Wahl zwischen Tablette oder Tee. Was macht Schulmedizin, Komplementärmedizin und KomplementärTherapie aus und warum es im besten Fall kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander ist.
Wer sich mit Gesundheit beschäftigt, stolpert schnell über die Begriffe Komplementärmedizin, Alternativmedizin oder KomplementärTherapie. Sie klingen ähnlich, meinen aber nicht dasselbe – und gerade in der Schweiz gibt es Besonderheiten, die leicht für Verwirrung sorgen.
Drei Begriffe, verschiedene Bedeutungen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fasst all diese Verfahren unter „Complementary and Alternative Medicine“ zusammen – also ein Begriff für alles, was nicht zur klassischen Schulmedizin gehört. In der Schweiz wiederum gilt Komplementärmedizin seit 2009 als offizieller Überbegriff. Alternativmedizin wird im Volksmund zwar häufig verwendet (auch der Dachverband nennt sich OdA AM für Alternativmedizin), dieser meint aber dasselbe wie Komplementärmedizin. Die offizielle Berufsbezeichnung nach Abschluss der höheren Fachprüfung der OdA AM lautet – um die Verwirrung noch etwas grösser zu machen: Naturheilpraktiker:in mit eidgenössischem Diplom.
KomplementärTherapie ist ein eigener, klar abgegrenzter Begriff: Er bezeichnet den Beruf, dem 22 verschiedene Methoden angeschlossen sind, welche die Schulmedizin ergänzen, aber nicht ersetzen sollen. Er kann mit dem eidgenössischen Diplom in KomplementärTherapie mit einer bestimmten Methode abgeschlossen werden. Vertieftere Informationen zu diesen beiden Berufsbildern finden sich hinter den Links am Schluss des Textes.
Komplementärmedizin: Von Ayurveda bis TEN
Die Komplementärmedizin setzt sich aus vier Methoden zusammen: Ayurveda, Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin(TCM) und die Traditionelle Europäische Naturheilkunde (TEN). Bisauf die TEN haben alle eine langeTradition in ihren Ursprungsgebieten und sind in sich geschlossene Medizinsysteme. Die TEN setzt sich aus verschiedenen Strömungen und Ansätzen zusammen, welche wiederum für sich lange Traditionen im Westen haben. Alle vier Methoden werden in der Schweiz sowohl von Ärzten als auch von Heilpraktikern angewendet.
Naturheilpraktiker:innen, die im Feld der Alternativmedizin arbeiten, verfügen über eine komplexe, auch umfangreiche medizinische Grundausbildung und können somit die erste Anlaufstelle für Patient:innen sein.
KomplementärTherapie: Von Akupressur Therapie bis Yogatherapie
Die Ausbildung zur KomplementärTherapeut:in dauert im Schnitt 4 Jahre. Die medizinische Grundausbildung ist ebenfalls ein wichter Teil davon, ist aber im Vergleich zur Komplementärmedizin weniger umfangreich. Die Schwerpunkte liegen auf der Methodenausbildung, sozialen und beruflichen Grundlagen und Kommunikation. Komplementärtherapeut:innen verstehen sich als Begleiter:innen. Sie machen eine methodenspezifische Befundaufnahme, bereiten mit ihren Interventionen den Weg für Veränderungsprozesse und unterstützen individuelle Heilungsvorgänge. Bei akuten Symptomen wird die Komplementärtherapeut:in zwecks Diagnose und allenfalls Behandlung an die klassische Medizin weiter verweisen. Dem genauen Unteschied zwischen methodenspezifischer Befundaufnahme und medizinischer Diagnose wird zu einem späteren Zeitpunkt ein separater Artikel gewidment.
Leitlinien versus Prozess
Während die Schulmedizin leitlinienorientiert arbeitet – also nach einer klaren Diagnose standardisierte Therapien einsetzt – verfolgt die KomplementärTherapie einen prozessorientierten Ansatz. Beziehung, Kommunikation, Selbstwahrnehmung, körperzentrierte und energetische Interventionen über Berührung und Atem stellen die zentralen Elemente dar, welche einen therapeutischen Prozess ausmachen.
Auch die Sichtweise auf Gesundheit und Krankheit unterscheiden sich: In der KomplementärTherapie steht die Salutogenese im Zentrum – also die Frage, wie der Mensch in seiner Gesundheit gestärkt werden kann. Die Ursache eines Symptoms, also die Pathogenese, steht nicht im Vordergrund.
Unter welchen Umständen nehme ich welches Angebot in Anspruch?
Ein Knochenbruch? Ganz klar ein Fall für die Schulmedizin. Unspezifische Schmerzen, chronische Beschwerden oder das Bedürfnis nach einem ganzheitlichen Blick? Hier wenden sich viele Menschen an komplementärmedizinische Verfahren. Die Behandlung wird individuell auf den Menschen zugeschnitten und kann ganzheitlich begleiten. Die KomplementärTherapie begleitet, nach medizinischer Diagnostik, beide Ansätze, also klassische und komplementäre Medizin. Klient:innen finden in der KomplementärTherapie Wege, um für ihr eignes Wohlbefinden sorgen zu können. In der Praxis nehmen Menschen, natürlich je nach Ausgangslage, immer häufiger Angebote aus allen drei Richtungen in Anspruch, weil sie so jeweils unterschiedliche, sich gegenseitig ergänzende Unterstützungen erfahren.
Selbstkompetenz als Ziel
Ein zentrales Anliegen der KomplementärTherapie ist es, die Genesungskompetenz zu fördern – also die Fähigkeit, den eigenen Heilungsprozess aktiv mitzugestalten. Das Ziel ist nicht primär, einen früheren Zustand wieder herzustellen, wie es bei einem Beinbruch sinnvoll ist, sondern nachhaltige Veränderungen anzustossen, welche langfristig tragen. Im besten Fall lernen Klient:innen, wie sie sich bei herausfordernden Situationen wieder ins Gleichgewicht bringen können, bevor Symptome entstehen. Veränderungsprozesse sind meist auch Lernprozesse. Die KomplementärTherapie hat also durchaus auch „agogische“Aspekte.
Blick nach vorn
Die Vision vieler Fachleute im Gesundheitswesen: ein integratives Gesundheitssystem, in dem Schulmedizin, Komplementärmedizin und KomplementärTherapie Hand in Hand arbeiten. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen in seiner ganzen Individualität. Die Frage danach, welches System das „richtige“ ist, sollte immer mehr abgelöst werden durch die Erfahrung, dass ein Miteinander zum Wohle aller Beteiligten beiträgt. Zeit und Geld könnten vermutlich eingespart werden. Aber vor allem würde es den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht, die Menschen heute an ihre Gesundheit und Behandlung stellen.
Georg Weitzsch, Kinesiologe, Heilpraktiker, Gründerund Leiter der Akademie für KomplementärTherapie in Lindau undKooperationspartner der Heilpraktikerschule HPS in Ebikon.
https://www.kinesiologie-akademie.ch/home.html
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